Practical AM Applications
Additive Fertigung für die Luftfahrtindustrie
Nach unserem HotKaSt-Projekt folgt nun der nächste Einblick in die praktischen Anwendungsmöglichkeiten der Additiven Fertigung: AMB2S (Additive Manufactured Blisk to Sky) – ein Projekt, das den Einsatz von AM für die Herstellung von Komponenten für die Luftfahrt erprobt hat.
Die Luft- und Raumfahrtindustrie stellt höchste Anforderungen an Materialqualität, Gewichtseinsparung und Effizienz. Komponenten müssen extremen Belastungen standhalten und gleichzeitig wirtschaftlich und ökologisch optimiert sein. Additive Fertigung (AM) bietet hier neue Möglichkeiten den Materialeinsatz zu reduzieren, die Produktionseffizienz zu steigern und ermöglicht dabei eine Anpassung der Bauteile, die ausschließlich durch ihre Funktionsweise bestimmt wird, anstatt durch die Fertigungstechnologie eingeschränkt zu sein
BLISK zum Horizont: Der AMB2S-Ansatz
Im Rahmen von AMB2S wurde eine ganzheitliche Prozesskette für die additive Herstellung von BLISKs (Blade Integrated Disks) entwickelt, bei der jeder Schritt gezielt auf die Anforderungen der Luft- und Raumfahrt abgestimmt ist. Diese umfasste:
• Design & Modellierung: Entwicklung optimierter BLISK-Geometrien für die additive Fertigung
• PBF-LB/M-Fertigung: Herstellung der Bauteile mit Near-Net-Shape-Ansatz
• Wärmebehandlung: Verbesserung der Materialeigenschaften auf Luftfahrtstandard
• Nachbearbeitung: Bearbeitung kritischer Oberflächen mit optimierten Schwingungseigenschaften
• Qualitätskontrolle & Zertifizierung: Sicherstellung der Einhaltung von Luftfahrtnormen
Auf Basis dieser Prozesskette wurde erfolgreich eine BLISK mittels Laser-Based Powder Bed Fusion of Metals (PBF-LB/M) hergestellt, anstatt sie wie üblich aus einem massiven Metallblock zu fräsen.
Warum ist das ein Fortschritt?
Die konventionelle Herstellung einer BLISK ist materialintensiv und zeitaufwendig. Dabei liegt die sogenannte Buy-to-Fly-Ratio, also das Verhältnis von Ausgangsmaterial zu Endprodukt, oft unter 20 % – ein Großteil des Materials bleibt also ungenutzt.
Im Rahmen von AMB2S wurde am Beispiel einer BLISK die Integration der additiven Fertigung vor dem Hintergrund der Luftfahrtzertifizierung untersucht und validiert. So konnte eine Wärmebehandlungsroute gemäß AMS5662 entwickelt werden, um mechanische Eigenschaften zu erreichen, die mit konventionell gefertigten Komponenten vergleichbar sind. Zudem wurden verschiedene Referenzkörper für die anschließende Ausrichtung und Qualitätssicherung integriert, sowie Verstärkungsstrukturen für die subtraktive Nachbearbeitung.
Spezielle Stützstrukturen als Schlüssel zur optimierten Nachbearbeitung
BLISKs bestehen aus filigranen Strukturen – unabhängig davon, ob sie konventionell oder additiv gefertigt werden. Bei der spanenden Nachbearbeitung werden durch eine besondere Frässtrategie einzelne Blöcke aus dem Vollmaterial bearbeitet. Durch die Near-Net-Shape Fertigung beim AM-Prozess kann Material eingespart werden. Die dünnwandige Geometrie der Turbinenschaufeln führt allerdings dazu, dass es während des Fräsens zu Schwingungen kommen kann, die sich negativ auf die Fertigungsgenauigkeit und die Oberflächengüte auswirken.
Ein zentraler Lösungsansatz im Rahmen von AMB2S war es daher, bereits im additiven Designprozess optimierte Stütz- und Verstärkungsstrukturen zu integrieren. Diese Strukturen stabilisieren das Bauteil während der additiven Fertigung und wirken gleichzeitig als schwingungsdämpfende Elemente während der mechanischen Nachbearbeitung. Dadurch wurden sowohl die Maßhaltigkeit als auch die Oberflächenqualität verbessert.
Zusätzlich lag der Fokus darauf, Stützstrukturen so zu gestalten, dass sie die Werkzeugbelastung reduzieren. Die Forschung zeigte, dass der Werkzeugverschleiß und die Bearbeitungszeit signifikant von den verwendeten Stützstrukturen abhängen. Durch eine optimierte Strukturplanung konnten leichter entfern- und bearbeitbare Stützgeometrien entwickelt werden, die den Fräsprozess effizienter machen. Mehr dazu
Was bedeutet das für die Additive Fertigung?
Das Optimieren von Stützstrukturen spielt eine zentrale Rolle für die gesamte Additive Fertigung. Diese Strukturen beeinflussen nicht nur die Prozesssicherheit während der Fertigung, sondern haben auch einen erheblichen Einfluss auf die Nachbearbeitungseffizienz. Das gezielte Gestalten von Stützstrukturen zur Schwingungsdämpfung und Werkzeugentlastung ist ein wesentlicher Erfolg, der weit über das AMB2S-Projekt hinaus Bedeutung hat.
Denn nahezu jedes additiv gefertigte Bauteil benötigt eine Form der Nachbearbeitung – sei es durch Fräsen, Schleifen oder andere spanende Verfahren. Die im Projekt entwickelten Methoden und Erkenntnisse zur Stützstruktur-Optimierung lassen sich daher auf andere AM-Prozesse übertragen und bieten eine Möglichkeit, die Produktionsqualität und Wirtschaftlichkeit dieser Prozesse zu steigern.
Gleichzeitig zeigen die Ergebnisse von AMB2S, dass die mechanischen Eigenschaften der additiv gefertigten BLISK mit denen konventionell gefertigter Bauteile vergleichbar sind. Damit eröffnet sich langfristig die Möglichkeit, AM auch für sicherheitsrelevante Komponenten in der Luftfahrt zu etablieren. Neben einer optimierten Prozesskette mit verbessertem Buy-to-Fly-Verhältnis könnten künftig auch neue Designansätze realisiert werden, die zuvor durch konventionelle Fertigungsgrenzen limitiert waren.
Konsortium
- Fraunhofer-Institut für Produktionstechnologie IPT, Aachen
- RWTH Aachen Lehrstuhl Digital Additive Production DAP
- PRÄWEST PRÄZISIONSWERKSTÄTTEN Dr.-Ing. Heinz-Rudolf Jung GmbH & Co. KG, Bremen
- BCT Steuerungs- und DV Systeme GmbH, Dortmund
- Innoclamp GmbH, Aachen
- MMB Maschinen, Montage & Betriebsmitteltechnik GmbH, Velbert
- Oetzbach Edelstahl GmbH, Velbert
- TPW Prüfzentrum GmbH, Neuss
Das Forschungsprojekt wird durch das Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz (BMWK) gefördert.
Jonas Boseila, M. Sc.
RWTH Aachen Lehrstuhl
Digital Additive Production DAP
Campus-Boulevard 73
52074 Aachen
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